Dienstag, 25. März 2014

Amazon-Rezension zu Bedenbenders "Frohe Botschaft am Abgrund"


Tja, ich hab versucht, endlich die Rezension zu Andreas Bedenbender zu schreiben und sie etwas "volkstümlich" zu halten:
via Amazon

1) Im 13. Kapitel des Markusevangeliums finden wir mitten in einem privaten Gespräch zwischen Jesus und vier seiner Jünger auf dem Ölberg zwei überraschende Bemerkungen, die nicht zur eigentlichen Erzählebene des Evangeliumberichts gehören.

Zum einen Mk 13,14 („Wenn ihr aber sehen werdet das Gräuelbild der Verwüstung stehen, wo es nicht soll - wer es liest, der merke auf! -, alsdann ...“) und zum anderen Mk 13,37 („Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!“). Die erste Äußerung wendet sich augenscheinlich an die Leser, die zweite Äußerung an die Leser und Hörer des Evangeliums. Offenbar ist es nicht die Stimme Jesu, sondern des Evangelisten selbst, die hier spricht. Markus scheint den Lesern und Hörern des Evangeliums verständlich zu machen, dass sie nicht als Unbeteiligte außerhalb seines Berichtes stehen und er auch die damaligen zeitgenössischen Leser mit „im Blick“ hat. Nicht nur den Jüngern, die Jesus nachfolgten, sondern auch den Lesern von Markus ist aufgegeben, Jesus Gleichnisse im Markusevangelium zu enträtseln und sich auf die Taten und Geschehnisse um ihn einen Reim zu machen.

Dr. Andreas Bedenbender (Pfarrer, Privatdozent an der Universität Paderborn und Redakteur der exegetischen Zeitschrift „Texte und Kontexte“) hat dies mit seinem Werk „Frohe Botschaft am Abgrund. Das Markusevangelium und der Jüdische Krieg“ in einer für den Beginn des 21. Jahrhunderts wohltuenden Weise unternommen. Bedenbenders „Schinken“ von mehr als 500 Seiten steht hierzulande für den Anbruch eines modernen Verständnis des Markusevangeliums, der sich auch international vollzieht.

2) Denn den markinischen Jesus „richtig“ zu verstehen, ist nicht einfach. In Mk 8,16 (nach der Speisung der 5000 und der 4000) wendet sich Jesus wie folgt an die Jünger: „Und sie bedachten hin und her, dass sie kein Brot hätten. Und er merkte das und sprach zu ihnen: Was bekümmert ihr euch doch, dass ihr kein Brot habt? Versteht ihr noch nicht, und begreift ihr noch nicht? Habt ihr noch ein verhärtetes Herz in euch? Habt Augen und seht nicht, und habt Ohren und hört nicht, und denkt nicht daran: Als ich die fünf Brote brach für die fünftausend, wie viel Körbe voll Brocken habt ihr da aufgesammelt? Sie sagten: Zwölf. Und als ich die sieben brach für die viertausend, wie viel Körbe voll Brocken habt ihr da aufgesammelt? Sie sagten: Sieben. Und er sprach zu ihnen: Begreift ihr denn noch nicht?

Bei der Speisung der 5000 blieben also 12 Körbe Brot „übrig", bei der Speisung der 4000 waren es 7 Körbe mit Brotresten. Die „hartherzigen“ Jünger verstehen den scheinbar geheimen Sinn der Zahlen nicht. Und wenn wir ehrlich zu uns sind, müssen wir uns eingestehen, dass wir ebenfalls nicht wesentlich schlauer als die „unverständigen“ Jünger sind. Sind also auch wir „hartherzig“?

Bedenbender schlägt treffend vor, die Speisung der 5000 allegorisch als Heilsverkündigung an das jüdische Volk, die Speisung der 4000 als Heilsverkündigung unter Einschluss der Heiden zu lesen. Mit den angeführten Zahlen gibt Markus nach Bedenbender folgendes zu verstehen:

Speisung der 5000 - Israel
12 Körbe = 12 Stämme Israels
5 Brote = Pentateuch (die 5 Bücher Mose)
2 Fische = die 2 Bundestafeln mit den 10 Geboten

Speisung der 4000 - Heiden
7 Körbe = 7 Völker Kanaans (hierzu 5. Mose 7,1) oder die 70 Völker der Welt (1. Mose 10)
7 Brote = die 7 Noachidischen Gebote

Wenn wir das Markusevangelium verstehen wollen, dürfen wir daher nicht am buchstäblichen Sinn haften bleiben, der – wie uns Markus mehrmals demonstriert – letztlich überhaupt keinen Sinn ergibt, sondern wir haben seinen Bericht insgesamt gleichnishaft oder allegorisch deuten.

Andreas Bedenbender bekennt sich deshalb ausdrücklich zu einer allegorischen Auslegung. Er zeichnet zugleich die Geschichte der allegorischen Auslegung des Markusevangeliums nach, den Widerstand, den die herkömmliche Exegese dem allegorischen Verständnis entgegensetzt, und das neuerliche Wiederaufkommen allegorischer Interpretationen in der Moderne.

3) Bedenbenders Kerngedanke ist, dass das Markusevangelium die Botschaft und den Tod von Jesus vor dem von Markus immer wieder angedeuteten Hintergrund des 1. Jüdisch-Römischen Krieges (66-74 n.Chr.) schildert.

Denn die Frage, die den um oder kurz nach dem Jahr 70 n.Chr. schreibenden Markus bewegte, muss nach Bedenbender folgende gewesen sein: Wenn Jesus tatsächlich der jüdische Messias, der Christus, war, wieso war er dann im Verlauf des Jüdischen Krieges nicht bei seinem jüdischen Volk, dass er als Messias doch zu führen hat? Wie kann Jesus der Messias sein, wenn sein Volk – scheinbar von Gott verlassen – in den bitteren Untergang ging? Wie können die antiken Christen überhaupt behaupten, dass Jesus der Christus war, wenn er dem jüdischen Volk im jüdischen Krieg nicht als Messias zur Seite stand?

In seinem Buch zeigt Bedenbender in ausführlicher Weise die Antwort des Evangelisten Markus auf: Jesus war der Messias und er war bei seinem Volk! Er wurde von den Römern gekreuzigt, so wie etwa 40 Jahre später auch das ganze Volk Israel „gekreuzigt“ wurde. Nicht anders als Johannes der Täufer, der – in Gestalt Elias – als Wegbereiter Jesus voranging und von Herodes Antipas, dem Zögling Roms, hingerichtet wurde (Mk 9,13): „Aber ich sage euch: Elia ist gekommen und sie haben ihm angetan, was sie wollten, wie von ihm geschrieben steht.

Der jüdische Krieg war für das antike jüdische Volk eine unvorstellbare Katastrophe, die in erster Linie Schweigen gebot. Sie verbot – so Bedenbender - dem Evangelisten Markus in naiver Weise von einem glorreichen Jesus zu sprechen und so zu tun, so als wäre in Jesus´ Heimatland „nichts“ geschehen. Jesus´ letzte Worte im Markusevangelium („Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“) sind auch die Worte ganz Israels angesichts der Schrecken des jüdischen Krieges. Nach Mk 15,38 zerriss beim Tode Jesu im Jerusalemer Tempel der Vorhang „in zwei Stücke von oben an bis unten aus.“ Gemäß der rabbinischen Überlieferung betrat der römische Feldherr Titus nach der Eroberung Jerusalems Mitte des Jahres 70 n.Chr. den Tempel, nahm sein Schwert und durchstach den Tempelvorhang vor dem Allerheiligsten (bGit 56b).

Dies bedeutet jedoch nicht, - so Bedenbender - „dass der Evangelist die Geschichte Jesu nur als Chriffre nahm, um 'eigentlich' etwas anderes, nämlich 'das in Wahrheit Gemeinte' zu behandeln. Auch die Geschichte Jesu ist vom Evangelisten eigentlich gemeint, sie ist nicht weniger real als das, was dem jüdischen Volk zwischen 66 und 70 n.Chr. widerfuhr. Die hier vorgeschlagene Lektüre löscht den Bezug auf die Geschichte Jesu also keineswegs aus, vielmehr erkennt sie das Proprium des Textes gerade in der unaufhebbaren Spannung zwischen diesen beiden Geschichten.

Bedenbenders Buch weiß nicht nur durch diese gut begründete These zu überzeugen. Seine scharfsinnigen Interpretationen vieler einzelner Perikopen machen einen erheblichen Reiz der Lektüre aus.

Bedenbenders Werk ist Bibelauslegung des 21. Jahrhunderts: Das wichtigste deutschsprachige Markus-Buch seit langer und wohl auch für lange Zeit!

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