Freitag, 18. Dezember 2015

Triumphaler Einzug in Jerusalem?


1) Was bleibt von der Perikope über Jesus' Ankunft in Jerusalem übrig, wenn man all das wieder abzieht, was Matthäus, Lukas und Johannes hinzugedichtet haben - an Palmwedeln, doppelten Eseln, verärgerten Pharisäern, neugierigen Griechen, schreienden Steinen, Tränen über Jerusalem etc. ? 

Ankunft in Jerusalem nach Johannes ...

- Die Erzählung spielt bis zum Vers 11:10 noch auf dem letzten Wegstück in Richtung Jerusalem. Sie erzählt nicht von einem „Einzug“ in die Stadt.

- Das Reittier ist ein Fohlen, dessen Indienstnahme von Markus sehr detailliert beschrieben ist.

- Viele sich entkleidende (nackte?) Menschen begegnen dem Leser. Die Jünger werfen ihre Gewänder dem Fohlen über, die große Menge bettet sie in den Weg.

- Hosanna-Rufe, die sich nicht auf Jesus zu beziehen scheinen.

- Während Jesus in den anderen Evangelien große Aufmerksamkeit mit seiner Ankunft erzielt, ist fraglich, ob bei Markus jemand eine besondere Notiz von ihm nimmt.

- Jesus' tatsächliche Ankunft in Jerusalem in Vers 11:11 ist unspektakulär. Er inspiziert kurz den Tempel und geht dann mit den Zwölf nach Bethania.

Man liest diese Perikope und liest sie erneut und es beschleicht einen dabei der Eindruck, dass das Markusevangelium möglicherweise das Gegenteil, zumindest etwas ganz anderes erzählt als Matthäus, Lukas und Johannes. Ein „bejubelter Einzug“ von Jesus in Jerusalem scheint nach Markus nicht stattgefunden zu haben.

Meinte Markus dies?
In Vers 11:10 preisen die Pilger das kommende „Königreich unseres Vaters David“ - eine Einzelheit, die alle anderen Evangelisten gestrichen haben. Dieser Schrei der Pilger steht konträr zur Verkündigung von Jesus, der das „Königreich Gottes“ predigt und die Anrede „Vater“ ausschließlich für Gott verwendet. Wollte - so Markus - Jesus mit seinem Ritt ein Zeichen setzen und sich abgrenzen von einem Pilgerzug, der in einem nationalistisch verblendeten Freudentaumel endete?


2) Wie Matthäus die Perikope veränderte

Montag, 30. November 2015

Zur Einführung in das Markusevangelium


Die Beiträge, die ich auf meinem Blog veröffentliche, haben für mich eher vorläufigen Charakter. Sie spiegeln ein momentanes Nachdenken über diese oder jene Stelle das Markusevangeliums wider und enthalten keine endgültige Meinung. Ich glaube aber – oder mache mich nur glauben -, dass ich mittlerweile mit dem Markusevangelium so vertraut bin, um hin und wieder einen Beitrag mit etwas mehr „Verantwortung“ zu verfassen. Bei diesen Beiträgen soll es sich um einige Anregungen und Gedanken zur Einführung in das Markusevangelium handeln, die vielleicht dem einen oder anderen hilfreich sein könnten.

Einleitungen zum Markusevangelium befassen sich in der Regel mit Mutmaßungen, wer Markus war, um welche Zeit das Markusevangelium verfasst wurde, zu welchem Zweck Markus sein Evangelium schrieb etc. Die hierzu von den Gelehrten aufgestellten Thesen unterscheiden sich häufig voneinander und kommen meines Erachtens kaum über – manchmal gut, manchmal weniger gut begründete - Spekulationen hinaus. Ihr Ergebnis ist nicht selten, dass der Leser eine vorgefasste Meinung vom Markusevangelium erhält, noch bevor er vielleicht einen ersten Satz daraus gelesen hat.

Mein Wunsch ist deshalb, eine etwas andere Art von Einleitung in das Markusevangelium zu schreiben. Es sollen Beiträge sein, die auf einer Schriftstelle des Markusevangeliums beruhen und Licht auf einige grundlegende Haltungen und Denkweisen von Markus werfen. Ich erhoffe mir von diesen Beiträgen ein wenig, dass der mit dem Markusevangelium weniger vertraute Leser aus ihnen eine Perspektive gewinnen kann, mittels derer sich für ihn das Besondere an Markus besser erschließt - vor allem auch, was Markus von den Evangelisten Matthäus, Lukas und Johannes unterscheidet. Ich sammle diese unter einem neuen Tab.

Markus und der frühchristliche Antijudaismus


1) Der dritte Satz im Wikipedia-Artikel über „Jesus von Nazaret“ lautet: „Zwei bis drei Jahre später wurde er auf Befehl des römischen Präfekten Pontius Pilatus von römischen Soldaten gekreuzigt.“ Dass Jesus von römischen Soldaten gekreuzigt wurde, gilt heutzutage als allgemein anerkannter Gemeinplatz. Allerdings behauptete im Widerspruch dazu die Mehrzahl der bekannten frühchristlichen Schriften, dass Jesus von Juden gekreuzigt wurde.
via catholicconvert.com

2) Quellenlage

Lediglich Markus und Matthäus stellen in ihren Evangelien dar, dass Jesus von römischen Soldaten gekreuzigt wurde. Nach den Evangelien von Lukas und Johannes, dem apokryphen Petrusevangelium, den Schriften von Justin dem Märtyrer und wohl auch dem Evangelium von Marcion wurde Jesus durch Juden gekreuzigt.

Ich geben nachfolgend die entscheidenden Stellen in den Evangelien so auszugsweise wieder, dass deren Sinnzusammenhang deutlich wird.

Dienstag, 24. November 2015

στιβάδες (stibades)


1) Im Vers 11:8 des Markusevangeliums gibt es ein Wort, dass alle Welt entgegen seinem eigentlichen Sinn übersetzt. Der Vers gehört zur Szene vom sogenannten „Einzug in Jerusalem“ und lautet nach der bevorzugten Lesart:

καὶ πολλοὶ τὰ ἱμάτια αὐτῶν ἔστρωσαν εἰς τὴν ὁδόν,
Und viele die Gewänder (von) ihnen betteten in den Weg,

ἄλλοι δὲ στιβάδας κόψαντες ἐκ τῶν ἀγρῶν.

andere aber stibadas, geschlagen (habend) aus den Feldern.

Abendmahlsdarstellung auf einem Stibadium
Sant' Apollinare Nuovo, Ravenna
Alle renommierten deutschen Bibelübersetzungen übertragen das Wort στιβάδας (stibadas) als „Zweige“, etwas mutigere mit „Laubbüscheln“, Ulrich Rohmer (mein deutschsprachiger Favorit) mit „Laubwerk“. Einige kühne Übersetzer im englischen Sprachraum wählten sinngemäß „weiches Laub“ oder „Stroh“. Dem eigentlichen Sinn am nächsten kam wohl der Amerikaner Charles B. Williams, ein Southern Baptist und Professor für Griechisch, der mit „layers of leaves“ (Laubschichten bzw. Lager aus Blättern) übersetzte.


Grundsätzlich besteht Einigkeit, dass στιβάς (stibas – hier in der Einzahl Nominativ) genau so etwas bezeichnet. Es handelt sich bei einer Stibas um ein einfaches Ruhelager oder eine Liegestatt, die aus pflanzlichen Teilen (Stroh, Binsen, Blätter, weiche Zweige, Kräuter, Blumen) in der Form einer fest gebauten Schicht, einer Matratze, einer Matte oder eines ebenerdigen Bettes gefertigt ist. Auf solchen Ruhelagern wurde in der Antike vor allem im Freien geschlafen (Soldaten, Hirten etc.), liegend gegessen bzw. eine private oder religiöse Gesellschaft abgehalten, aber auch Verstorbene im Grab beigesetzt. Die Luxusvariante ist das sogenannte „Stibadium“. (Zum Verständnis: In der Antike wurde bei Gesellschaften meist liegend gegessen. So „liegt“ auch Jesus nach dem griechischen Wortlaut der Evangelien „zum Mahl“, etwa beim letzten Abendmahl.)

Christliches Mahl auf einer Sigma, Katakombe der
Marcellinus und Petrus, Rom - wikicommons

2) Aus welchen Gründen auch immer soll diese Bedeutung des Wortes jedoch für den Vers 11:8 des Markusevangeliums nicht gelten, wobei eine Begründung in der Regel nicht genannt wird.

Bevor ich schnurstracks behaupten wollte, dass alle Welt sich irrt ;-) , habe ich eine ganze Menge Literatur gewälzt, um den Fall selbstkritisch zu prüfen. Der Effekt war jedoch genau umgekehrt. Vor allem dann, wenn man die Werke von Historikern zu Rate zieht, die zu den Ess- und Schlafgewohnheiten in der Antike forschen, wird klar, dass kein Grieche in der Antike jemals unter einer Stibas Zweige oder Blätter hätte verstehen können.

Das Wort bezeichnet stets das Ganze und nie die (Bestand-)Teile. Ebenso wenig, wie man im Deutschen das Wort „Haus“ als die Steine oder das Holz deuten kann, aus denen es errichtet wurde, fallen unter das Wort στιβάς (stibas), die Pflanzen, die Blätter, die Zweige oder das Stroh, aus denen sie gefertigt ist. Es meint stets die Liegestatt, die Strohschicht, das Polster, die Matratze oder das armselige Bett als solches.

Freitag, 13. November 2015

Die Schriftgelehrten als Hauptgegner von Jesus


1) Nach allgemeiner Meinung gelten die Pharisäer als hauptsächliche Widersacher von Jesus. Dem entspricht, dass sie in den Evangelien 89 Mal erwähnt werden, die Schriftgelehrten nur 59 Mal. Im Markusevangelium ist das Verhältnis jedoch umgekehrt. Schriftgelehrte (γραμματεῖς – grammateis) nennt Markus 21 Mal, Pharisäer (Φαρισαῖοι - Pharisaioi) hingegen lediglich 12 Mal. Dabei sind beide Gruppen nicht strikt voneinander getrennt. In Mk 2:16 begegnet man auch den „Schriftgelehrten der Pharisäer“.

Ein weiterer Unterschied der Evangelien betrifft das Profil dieser Gegner. Während die Unterscheidung von Pharisäern und Schriftgelehrten bei Matthäus und Lukas eher diffus ist (eine vage Ausnahme mag Lk 11:37ff sein), sind bei Markus die Pharisäer von den Schriftgelehrten deutlich zu unterscheiden, wie Dieter Lührmann bereits vor knapp 30 Jahren gezeigt hat.
Mk 2:6 "Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und
dachten in ihren Herzen ..." - via commons.wikimedia

Die Kritik der Pharisäer bei Markus zielt auf den durch das Recht (Halacha) gebotenen Lebenswandel (Fastenfrage Mk 2:18, Sabbatfrage Mk 2:24, Speisegebote Mk 7:5, Ehescheidung Mk 10:2, Steuerfrage Mk 12:13). Die Schriftgelehrten bestreiten hingegen die göttliche Vollmacht von Jesus und stellen ihn als von Beelzebul besessen dar (Mk 2:6, 3:22, 11:27, 12:35), lehren eine andere Auslegung der Schriften der hebräischen Bibel (Mk 9:11, 12:35) und planen mit den Hohenpriestern und Ältesten die Tötung von Jesus (8:33, 10:33, 11:18, 14:1, 14:43, 14:53, 15:1).

Die Rivalität zwischen Jesus und den Schriftgelehrten hebt Markus noch zusätzlich durch zwei Stellen hervor: In Mk 1:22 heißt es über Jesus, dass er „in Vollmacht lehrt und nicht wie die Schriftgelehrten“. In Mk 12:38ff sind es schließlich die Schriftgelehrten, die im Markusevangelium unter allen Gegnern am kritischsten beurteilt werden: „Und er lehrte sie und sprach zu ihnen: Seht euch vor vor den Schriftgelehrten, die gern in langen Gewändern gehen und lassen sich auf dem Markt grüßen und sitzen gern obenan in den Synagogen und am Tisch beim Mahl; sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete. Die werden ein umso härteres Urteil empfangen.

Ein Schwarz-Weiß-Denken finden wir bei Markus gleichwohl nicht. Die lobenswerte Ausnahme aus dem Kreis seiner Gegner kommt ausgerechnet aus dem Lager der Schriftgelehrten – Mk 12:28ff.

Soweit der mir ersichtliche Stand der Wissenschaft. Ich mag hierzu eine Beobachtung ergänzen: Die Pharisäer wagen im Markusevangelium stets die offene Diskussion mit Jesus, die Schriftgelehrten meiden sie hingegen, versuchen aber die Jünger und das Volk zu beeinflussen.

Montag, 9. November 2015

Müßige Textkritik

via kiyanti2008.wordpress.com
1) Vers 15:34 des Markusevangeliums beschreibt den Ausruf von Jesus am Kreuz zunächst im aramäischen Wortlaut („Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“).

Wer sich für den „buchstabengenauen“ Aufschrei interessiert, steht vor der erheblichen Schwierigkeit, dass die ältesten Codizes des Markusevangeliums jeweils eine unterschiedliche Fassung enthalten. Dies gilt allein schon für das Wort „hast Du mich verlassen“: 


Codex Sinaiticus – σαβακτανει....... (sabak....t...ani)
Codex Vaticanus – ζαβαφθανει........(zabav....th..ani)
Codex Alexandrinus – σιβακθανει...(sibak.....th..ani)
Codex Bezae – ζαφθανει................(zav........th..ani)
Codex Ephraemi – σαβαχθανει........(sabach..th..ani)

Cod. Sinaiticus: die Hand des Korrektors
Bevor der Codex Sinaiticus, die von Constantin Tischendorf im Katharinenkloster am Berg Sinai aufgefundene Bibel aus dem 4. Jahrhundert, die Schreibwerkstatt verließ, ist er nochmals korrigiert worden. Der Korrektor hat bei Vers 15:34 die zwei Buchstaben „χθ” über das Wort „σαβακτανει” geschrieben, war also anderer Meinung als der Schreiber. Seines Erachtens lautete das fragliche Wort mithin „σαβαχθανει” (sabachthani). Da diese Lesart mit der Fassung des Codex Ephraemi Rescriptus sowie vielen jüngeren Manuskripten übereinstimmt und „σαβαχθανει” im Aramäischen für „hast Du mich verlassen“ stehen kann, ist dieser Wortlaut die von den Experten bevorzugte Lesart. Die Entscheidung für dieses Wort ist gut nachvollziehbar, aber angesichts der vielen unterschiedlichen Textvarianten mit einer hohen Unsicherheit verbunden. Was hier wirklich im „Original“ des Markusevangeliums stand, kann wohl nicht mit letzter Gewissheit gesagt werden.


2) Textkritik entzündet sich meist an theologisch bedeutsamen oder interessanten Stellen und kann zu erhitzten Debatten führen. Eine Entscheidung, ob etwa im Vers 1 des Markusevangeliums („Anfang des Evangeliums Jesu Christi“) zusätzlich noch die Wörter „Sohn Gottes“ standen oder nicht, ist eben nicht frei von weltanschaulichen Prägungen und Vorlieben. Beim Lesen textkritischer Abhandlungen von gewissen Autoren gewinnt man auch nicht selten den Eindruck, dass die Sache aus ihrer Sicht „glasklar“ und „bar jeden Zweifels“ entschieden werden kann.

Mit diesem Beitrag möchte ich einmal genau das Gegenteil tun und zeigen, wie schwierig Textkritik ist. Es handelt sich um eine Stelle, deren unterschiedliche Lesarten nur ganz leicht differieren und bei denen die Entscheidung für die eine oder andere Variante aus theologischer Sicht mehr oder weniger unerheblich ist. Das Problem lässt sich also „ganz entspannt“ betrachten. Eine „abschließende Lösung des Falles“ präsentiere ich außerdem nicht.

Erwähnenswert scheint er mir jedoch, weil sich bei genauer Betrachtung die Verhältnisse umkehren. Auf den ersten Blick erscheint die Sache ziemlich klar. Für die von den Experten bevorzugte Textvariante scheinen zunächst „alle guten Gründe“ zu sprechen. Am Ende erweist sich aber gerade diese Lesart als die zweifelhafteste.

Dienstag, 27. Oktober 2015

Wie Schafe, die keinen Hirten haben (II)


Am Ende ruft die Menge vor Pilatus „Kreuzige ihn!“ (Mk 15:13), obwohl das Volk vor allem in Galiläa Jesus noch in großen Scharen hinterhergelaufen war. - Einige Überlegungen über das Verhältnis zwischen Jesus und den Volksmengen im Markusevangelium und dessen Wandlung …

Teil 2 – Hörer der Lehre Jesu

1) Im ersten Teil dieses Beitrags bin ich einem Thema nachgegangen, dass Markus sehr sorgfältig vom 1. bis zum 6. Kapitel entwickelt: die Bedrängung von Jesus durch die Volksmenge. Ab dem 7. Kapitel lässt Markus dieses Motiv jedoch fallen. Eine weitere Bedrängung durch die Menge wird im Markusevangelium nicht mehr erwähnt.

Lehrer der Volksmenge
Positiv gewendet kann man der markinischen Darstellung entnehmen, dass sich das Volk in den ersten Kapiteln des Markusevangeliums in zunehmenden Maße um Jesus versammelt, der gewissermaßen das Zentrum des Zulaufs der Massen und den „Ort“ von Reinheit und Heilung bildet. Er tritt damit in eine gewisse Konkurrenz zu den herkömmlichen Institutionen: der Familie, der Synagoge, dem Tempel und anderen Gemeinschaftsformen wie etwa der „Stadt“. In diesen Institutionen finden sich die Heilbedürftigen und Dämonisierten.

Gleichwohl hat Markus diesen „Erfolg“ von Jesus nicht in rosaroten Tönen beschrieben. Er hat in seinem Bericht die Bedrohlichkeit der Menschenmassen und das fast hysterische und gewaltsame Bedrängen von Jesus hervorgehoben. Es sind Menschen-“Haufen“, deren Anblick nach Mk 6:34 Mitgefühl auslöst: „wie Schafe, die keinen Hirten haben“.

Der Vers 6:34 ist damit noch nicht vollständig wiedergegeben, sondern nennt außerdem noch die unmittelbare Reaktion von Jesus auf den Anblick der sein Mitgefühl auslösenden Volksmenge:

καὶ ἤρξατο διδάσκειν αὐτοὺς πολλά
und er begann zu lehren sie vieles


2) Gewöhnlich denkt man bei der „Lehre von Jesus“ an die Bergpredigt und damit an das Matthäusevangelium, während das Markusevangelium nicht unbedingt für die darin enthaltenen „Lehren Jesu“ gerühmt wird.

Dementgegen ist auffällig, dass Markus ab Beginn seines Evangeliums mit der Verkündung ein weiteres wichtiges Motiv im Verhältnis zwischen Jesus und der Volksmenge verfolgt. Unaufhörlich verkündet und lehrt Jesus die Menge und „sagt“ ihnen „das Wort“. Allerdings erfahren wir nicht in jedem Fall etwas über die Lehrinhalte seiner Reden.

Dabei kommt es mit dem 7. Kapitel zu einer auffälligen Wende im Markusevangelium. Jesus, der bis dahin in der Regel in Gleichnissen gepredigt hat, geht in seiner Lehre nun zu direkten und unmissverständlicheren Aussagen über. Gleichsam als Echo dieser Änderung beziehen sich die „Heilungswunder“ ab diesem Zeitpunkt auf Sinnes- und Äußerungsorgane: die Heilung von Blinden, Taubstummen sowie die Austreibung eines tauben und stummen Geistes. In diesem Rahmen erreicht auch die Thematik des Jüngerunverständnisses ihren Höhepunkt, die nicht allein die Jünger, sondern auch die Volksmenge zu betreffen scheint.

Montag, 21. September 2015

Wie Schafe, die keinen Hirten haben (I)


Teil 1 – Die große Bedrängnis

Am Ende ruft die Menge vor Pilatus „Kreuzige ihn!“ (Mk 15:13). Trotz der Anstachelung durch die Hohenpriester versteht man nicht so richtig, woher der Sinneswandel des Volkes rührt, das Jesus vor allem in Galiläa in großen Scharen hinterhergelaufen war. Ich mag mir deshalb über dieses Volk und die Art, wie es von Markus dargestellt ist, ein paar Gedanken machen.
Mk 3:9 „Und er sagte ..., sie sollten ihm ein kleines Boot
bereithalten, damit die Menge ihn nicht bedränge

1) Zwei einfache Beobachtungen zu Beginn. Im Markusevangelium ist – anders als etwa im Römerbrief - nirgendwo von den „Israeliten“ die Rede. Es werden nur „Jerusalemer“ (Mk 1:5), „Judäer“ (Mk 7:3) und „Galiläer“ (Mk 14:70) als solche bezeichnet.

Die Volksschichten werden im Markusevangelium mit fünf unterschiedlichen Begriffen benannt. Das klassische Septuaginta-Wort für das „Volk“ Israels - λαὸς (laos) - verwendet Markus nur 2 Mal (nach Cod. Sinaiticus 3 Mal) und die heidnischen „Völker“ (ἔθνη – ethnē) werden 6 Mal erwähnt. Wesentlich häufiger spricht er von der „Menge“ (ὄχλος – ochlos) oder von den „Vielen“ (πολλοὶ – polloi); zweifach auch von einer „Fülle“ von Menschen (πλῆθος – pléthos) in Mk 3:7-8.

Das „Volk“ scheint im Markusevanglium auf den ersten Blick überwiegend kein Volk zu sein - und schon gar nicht „Israel“ -, sondern eine bloße Menschenmenge.


2) An dieser „Menge“ fallen zunächst zwei Eigenschaften auf. Sie ist äußerst hilfebedürftig und bedrängt Jesus enorm. Im Fortgang der Erzählung ist diese Bedrängung häufig mit Orten „am Meer“ verbunden.

Montag, 7. September 2015

Als "Petrus" das Markusevangelium rettete ...


1) Als im 3. Jahrhunderts n.Chr. die Kirchenväter und christlichen Schriftsteller aus den Evangelien zitierten, entfielen laut Brenda Schildgen im Verhältnis der Evangelien untereinander etwa 12 Zitate auf Matthäus, 7 Zitate auf Johannes, 4 auf Lukas und ein Zitat auf Markus. Soweit dies aus den Quellen nachvollzogen werden kann, kamen bei der Lesung von Evangelientexten im Gottesdienst zu jener Zeit auf eine Lesung von Markus etwa 16 Lesungen von Matthäus und 16 Lesungen von Johannes. Unter den in Teilen noch erhaltenen Handschriften der Evangelien aus den ersten drei Jahrhunderten n.Chr. befinden sich nach Larry Hurtado Dutzende von Matthäus, 16 von Johannes und 7 von Lukas. Die eine erhaltene Handschrift von Markus (Papyrus 45) wird selbst vom apokryphen Thomasevangelium übertrumpft, das auf Reste von drei Handschriften verweisen kann. Das Markusevangelium „überlebte“ in jenem Jahrhundert am Rande, während im Zentrum des katholischen Denkens vor allem Matthäus sowie Johannes standen und Lukas mit seiner Geburtsgeschichte reges theologisches Interesse genoss.

via Amazon
Zur Frage, wie dem Markusevangelium im 3. Jahrhundert n.Chr. das Überleben und sogar der Sprung ins Neue Testament gelang, gab Hurtado vor gut zwei Jahren folgenden Tipp ab: „For my money ... the early association of GMark with the Apostle Peter was likely at least one major factor.“ Prof. Hurtado bezog sich dabei auf die kirchliche Überlieferung, nach der Markus der „Dolmetscher“ oder „Interpret“ von Petrus gewesen sei. Unter dem Schutz der Autorität des großen Apostels, die die Christenheit im 3. Jahrhundert Petrus beimaß, sei das Markusevangelium letztlich unantastbar gewesen.

Michael J. Kok hat in seinem in diesem Jahr erschienen Buch „The Gospel on the Margins: The Reception of Mark in the Second Century“ und seiner 2013 verfassten Dissertation diese Randständigkeit des Markusevangeliums untersucht und das Entstehen jener Überlieferung, wonach Markus angeblich ein Mitarbeiter von Petrus gewesen sei.

Ausgangspunkt von Kok's Überlegungen ist zunächst, dass die kirchliche Überlieferung über Markus als „Interpret“ oder „Dolmetscher“ von Petrus nicht zutreffend, sondern eine bloße Fiktion ist. Über die Einzelheiten mag man streiten, doch wer das Markusevangelium einmal gelesen hat, sollte verstanden haben, dass Markus von Petrus und den „Zwölf“ (Aposteln) insgesamt ein negatives Bild zeichnet, in welchem die Jünger von zunächst in die Nachfolge Berufenen, zu unverständigen Jüngern und schließlich zu Deserteuren werden. Kok schreibt (mit Horsley übereinstimmend): „As the plot unfolds, the Twelve repeatedly demonstrate themselves to be inadequate representatives of the kingdom movement and regress from disciples to deserters of Jesus. … In Horsley’s reading, Peter and the Twelve deserted the social ideals of Jesus as Mark understood them.


2) In welchen Schritten und zu welchem Zweck wurde aber dann die Behauptung in die Welt gesetzt, dass Markus ein Mitarbeiter von Petrus gewesen sei?

Mittwoch, 2. September 2015

Eine “falsche” Präposition in Ps-Mk 16,9 und die Strenge markinischer Begriffe


Erfahrene Bibelleser wissen, dass die Verse 16,9-16,20 des Markusevangeliums unecht sind und nachträglich von anderer Hand hinzugefügt wurden. Der Verfasser jener Verse hat sich dabei keine Mühe gegeben, den Schreibstil von Markus nachzuahmen. Er ist nicht wie ein “geschickter Fälscher” vorgegangen.

Cod. Alexandrinus Mk 7,26: Markus verwendet ἐκ
In diesem Beitrag interessiert mich nur ein kleines Beispiel der Stilabweichung, nämlich die Verwendung einer “un-markinischen” Präposition im Vers 16,9, weil sie ein Licht darauf wirft, wie streng und einheitlich die von Markus verwendete Begrifflichkeit sein kann. Der Vers lautet in der Übersetzung der Offenen Bibel: “Nachdem er auferstanden war am frühen Morgen des ersten Tags der Woche, erschien er als erstes Maria Magdalena, von der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte.

Cod. Alexandrinus Mk 16,9: Der Redaktor verwendet ἀφ'
Die Schlussverse - einschließlich Vers 16,9 - sind in den beiden ältesten Handschriften des Markusevangeliums, dem Codex Vaticanus und dem Codex Sinaiticus, nicht enthalten. Die Präposition “von” (“von der er sieben Dämonen“) lautet in den vier anderen sehr alten Handschriften unterschiedlich. Während der Codex Alexandrinus und der Codex Ephraemi Rescriptus an jener Stelle ein “ἀφ'” (aph’) stehen haben, findet sich im Codex Bezae und im Codex Washingtonianus ein “παρ'” (par’). Dies schadet jedoch nichts, weil beide Varianten “falsch” sind und die einzig richtige, die vom “echten” Markus verwandt worden wäre, nirgendwo attestiert ist: die Präposition „ἐκ” (ek) bzw. - da in Mk 16,9 ein Vokal folgt - in der Form von „ἐξ” (ex).

Man kann sich dessen sicher sein, weil Markus zum einen ausnahmslos an jeder vergleichbaren Stelle die Präpositon „ἐκ” (ek) verwendet und er zusätzlich dem Verb die gleiche Vorsilbe voranstellt. Wörtlich schreibt Markus also ausnahmslos über Dämonen, dass sie “rausgeworfen (ἐκ-βάλλω - ekballo) werden aus (ἐκ - ek) jemand”, oder über unreine Geister, dass sie “rauskommen (ἐξ-έρχομαι - exerchomai) aus (ἐκ - ek) jemand”. Zum anderen ist seine Wortwahl beim Gegenteil genauso streng. Für das Besessenwerden verwendet er ausnahmslos die Präposition “in” (im Sinne von hinein), griechisch: “εἰς” (eis), und auch hier stellt er ohne Ausnahme dem Verb die gleiche Vorsilbe voran. Wörtlich übersetzt heißt es über unreine Geister, dass “sie hineinkommen (εἰσ-έρχομαι - eiserchomai) in (εἰς - eis) jemand”.

Hier zunächst die maßgeblichen Textstellen in der Übersetzung der Studienfassung der Offenen Bibel. Die von Markus verwendeten griechischen Wörter habe ich in Klammern jeweils hinter das deutsche Wort gesetzt.

Dienstag, 25. August 2015

Vertrauen zum biblischen Text: Jakob am Jabbok


1) Im 32. Kapitel des Buches Bereschit (1. Mose bzw. Genesis) steht Jakob vor seiner Rückkehr ins heilige Land. Zwanzig Jahre vorher war er geflüchtet, um der Vergeltung seines älteren Zwillingsbruders Esau zu entgehen. Er hatte Esau dessen Erstgeburtsrecht und seinem Vater Isaak den väterlichen Segen abgelistet, der Esau als Älterem gebührte. Nach Jakobs Flucht war sein Schicksal geprägt durch göttliche Offenbarungen, durch weitere Tricks und Täuschungen - die er selbst beging oder deren Opfer er wurde -, durch sein Familienleben und die Rivalität seiner beiden Frauen Lea und Rahel. Nun kehrt Jakob zurück und fürchtet nach wie vor den Zorn seines Bruders, den er ängstlich, aber gemäß einem ausgeklügelten Plan durch reiche Geschenke besänftigen will.

via zhishan.wordpress
In der letzten Nacht vor seiner Begegnung mit Esau lagert Jakobs Tross am Fluss Jabbok. Er steht auf, geht zunächst hinüber, führt dann seine Familie und sein Lager über den Fluss und bleibt dann doch allein zurück. Plötzlich ringt ein geheimnisvoller „Mann“ in der Dunkelheit mit Jakob, der scheinbar den Kampf im Morgengrauen beenden will, aber von Jakob daran gehindert wird, denn dieser will von seinem Gegner gesegnet werden. Der Fremde gibt Jakob den neuen Namen „Israel“ und Jakob gibt dem Ort am Jabbok den neuen Namen „Peniel“, „denn ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen, und meine Seele ist gerettet worden!

Seit Jahrtausenden rätseln Bibelleser über diese magische Erzählung, darüber, ob der Fremde etwa Gott, ein Engel oder Esau war, ob die Begebenheit sich „wirklich“ oder als Traum oder als tiefes, meditatives Gebet ereignete oder ob es sich um eine allegorische Erzählung handelt. Aber egal, zu welcher Auslegung man auch neigt, man versteht, dass Jakob in dieser Nacht am Jabbok „irgendwie“ mit Gott, vielleicht mit Esau und mit seinem Schicksal ringt und aus diesem Kampf verwandelt und geläutert hervorgeht.

Leider hat dieses „Verständnis“ einen erheblichen Schönheitsfehler. Nach wohl fast einmütiger Auffassung der Bibelwissenschaft ist diese Erzählung nämlich nicht einheitlich entstanden, sondern - um es lax zu sagen – ein Flickenteppich und ein wertloses Kuckucksei. Dabei wird angenommen, dass der Text – wie wir ihn heute in der Bibel lesen können – mehrfach überarbeitet worden sei. Am Anfang habe etwa eine uralte Sage gestanden, die mit der Bibel und Jakob noch nichts zu tun hatte. In dieser standen sich angeblich ein heidnischer Flussgott oder Dämon, der nur während der Nacht erscheint, und ein kanaanäischer Held im Kampf gegenüber. Diese im Volk populäre Geschichte sei zu späterer Zeit abgeändert und neu erzählt worden, als in Kanaan einzelne Stämme mit unterschiedlichen Gottheiten um die Vorherrschaft stritten. Schließlich sei die beliebte Geschichte des Kampfes von den Autoren der Bibel auf Jakob und den Gott Israels so umgeschrieben worden, dass aus dem siegreichen Held der unterlegene Jakob geworden sei. Nach einer der vielen anderen bizarren Meinungen sei der Ursprung der Geschichte hingegen in einer Art Koboldssage zu sehen, in der ein Wanderer des Nachts von einem Kobold angefallen wird.

Ich möchte niemanden davon abhalten, an kanaanäische Dämonen und Kobolde zu glauben. Persönlich muss ich über diese Theorien schmunzeln. Ich habe nicht den allergeringsten Zweifel, dass diese Erzählung echt ist und vollstes Vertrauen verdient.

Diesen langen Beitrag verfasse ich ausnahmsweise als eine Art Rätselspiel, an dessen Ende eine eindeutige Lösung steht. Nach einer Einführung (2.) folgt eine Übersetzung (3.) des biblischen Textes, danach einige Überlegungen zu seiner Struktur (4.-5.) und zu Problemen auf seiner Sinnebene (6.). Mit diesen - manchmal schwierigen - Hinweisen gebe ich Lesern, die so freundlich sind, diesen Beitrag zu lesen, alles Notwendige in die Hand, um von selbst auf die Lösung (7.) des Rätsels zu kommen.

Wer dies wagen will, geht zwei Risiken ein. Er muss – gegen alle Theorien der Bibelwissenschaft - dem biblischen Text vertrauen und sich - Zeile für Zeile und Wort für Wort - in ihn und seine vermeintlichen Widersprüche vertiefen. Er muss außerdem – was noch schwieriger sein dürfte – mir vertrauen.

Montag, 13. Juli 2015

Johannes der Täufer und das „Elija-Geheimnis“ II


Mein Eindruck ist, dass das Markusevangelium die Figur von Johannes dem Täufer in drei Punkten in auffälliger Weise „ausschmückt“ und „positioniert“. In allen drei Fällen weist die Figur des Täufers auf Jesus hin, sowohl auf Unterschiede als auch auf Gemeinsamkeiten der beiden. Die literarischen Mittel, die Markus hierzu verwendet, kann man als „Wiederholung“ und „Parallelisierung“ (einschließlich der Unterschiede) bezeichnen.
Passion des Täufers - via vultuschristi.org

Während der von Markus beabsichtigte Sinn des dritten Themenkomplexes, die Parallelisierung der Passion des Täufers und von Jesus, greifbar erscheint, „irritieren“ die ersten beiden Fälle, weil deren Bedeutung auf den ersten Blick eher dunkel und vielleicht gar kurios anmutet.


1) Wenn es im Markusevangelium Mystik (oder zumindest einen starken Symbolismus) gibt, so ist Gegenstand dieser Mystik die Nahrung und Kleidung Jesu´. Offensichtlich ist diese Eigenart in Bezug auf das (nicht nur) beim Abendmahl ausgeteilte Brot und den ausgeschenkten Wein. Bei näherer Betrachtung bemerkt man zugleich, dass auch die Gewänder von Jesus quer durch das Evangelium mit einer starken symbolischen Bedeutung aufgeladen sind.

Bei einem Vergleich des Täufers mit Jesus in Fragen der Nahrung und Kleidung zeigt sich, dass Markus zwischen beiden deutliche Unterschiede gezeichnet hat.

Freitag, 3. Juli 2015

Bibel-Blogs aus aller Welt auf einen Blick


Überall auf der Welt bloggen Professoren und Fachleute, Kirchendiener und Gläubige, Bibelnarren und Amateure, Religionsfreunde und -feinde über die Bibel. 

via blogger
Eine Ausnahmeerscheinung unter all diesen Bloggern ist Peter Kirby. Peter ist so freundlich und stellt seit Jahren im Internet englischsprachiges Material zusammen, dass von allen fleißig genutzt wird. Es gibt praktisch keinen antiken religiösen Text aus Judentum oder Christentum, zu dem er nicht wertvolle Informationen, Übersetzungen und Verständnishilfen gesammelt hat. Wer also selbst etwas über ausgefallene Texte wie die Bücher Henochs, die Himmelfahrt Jesajas, das Nazoräer-Evangelium oder eine Schrift von Philo von Alexandria sucht, ist auf Peters Seiten „early jewish writings“ und „early christian writings“ genau richtig und kann gewiss sein, dass auch Theologie- und Geschichtsprofessoren sich dort gerade aufhalten. Seine Zusammenstellung der wichtigsten modernen Theorien über den „historischen Jesus“ ist ebenfalls stark frequentiert.

In der vergangenen Woche hat Peter Kirby seine neu überarbeitete Seite „Christian Origins - All the Biblioblogs Fit to Link“ ins Internet gestellt, auf der unzählig viele Bibelblogs aus aller Welt eingebunden sind. Veröffentlicht ein hochehrwürdiger Theologie-Professor oder ein kleiner Bibelfreund einen neuen Beitrag auf seinem Blog, erscheint dieser Beitrag als Vorschau auf Peters Seite, sofern er eingebunden ist.

Peter Kirby ist außerdem ein ziemlich netter Kerl. Ihn und andere lernt man am besten in seinem „Biblical Criticism & History Forum“ kennen.

Donnerstag, 18. Juni 2015

Johannes der Täufer und das „Elija-Geheimnis“


1) Die Beurteilung Johannes des Täufers in den Evangelien ist ein anschauliches Beispiel für die Eigenart des Markusevangeliums, das einzigartige Denken von Markus und dessen Art und Weise des Erzählens.

Matthäus, Lukas und Johannes lassen keinerlei Zweifel daran, wie aus ihrer Sicht die Gestalt Johannes des Täufers zu bewerten ist und wie der Leser ihn bewerten soll. Alle drei fällen ein positives und unzweifelhaftes Urteil über den Täufer, das vor allem mit der Stimme des Erzählers wiedergeben oder in den Mund von Jesus gelegt ist.
Kein glorreicher Wundertäter: Elija am Horeb
via davidtlamb.com

Matthäus nennt den Täufer „mehr als einen Propheten“ und identifiziert ihn ausdrücklich mit Elija, dem von Jesaja prophezeiten Prediger in der Wüste und dem von Maleachi angekündigten Wegbereiter (Mt 3,1ff: „Zu der Zeit kam Johannes der Täufer ... Denn dieser ist's, von dem der Prophet Jesaja gesprochen und gesagt hat: 'Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: ...“; Mt 11,7ff … Er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist's, von dem geschrieben steht: 'Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her ... und wenn ihr's annehmen wollt: er ist Elia, der da kommen soll.“)

Lukas lässt nicht nur in den Geburtsgeschichten einen Engel die besondere Rolle des Täufers verkünden (Lk 1,15ff „Denn er wird groß sein vor dem Herrn; ... von Mutterleib an erfüllt werden mit dem Heiligen Geist ... wird vom Volk Israel viele zu dem Herrn, ihrem Gott, bekehren ... wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft Elias … zuzurichten dem Herrn ein Volk ...“, Lk 1,76ff: „Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest ...“), sondern nennt ausdrücklich seine göttliche Beauftragung (Lk 3,2 „da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, ...“) und gibt schließlich ebenfalls einige der von Matthäus genannten Punkte wieder (Lk 7,24ff).

Der Evangelist Johannes verdeutlicht ausdrücklich und bereits im Prolog, dass der Täufer der von Gott gesandte Zeuge für Jesus ist (Joh 1,6f: „Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes. Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten ...“) und beschreibt ihn auch nachfolgend in dieser Funktion des Zeugen (Joh 1,29ff „Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, ... Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.“)

Von alledem ist im Markusevangelium nichts zu finden. Das positivste Urteil über den Täufer fällt bei Markus nicht etwa der Erzähler oder gar Jesus, sondern ausgerechnet der Mann, der den Befehl zur Enthauptung des Täufers gibt: „König Herodes“. Markus präsentiert diese positive Beurteilung auch deutlich als dessen persönliche Ansicht (Mk 6,20):

ὁ γὰρ Ἡρῴδης ἐφοβεῖτο τὸν Ἰωάνην, εἰδὼς αὐτὸν ἄνδρα δίκαιον καὶ ἅγιον
er nämlich, Herodes, fürchtete den Johannes, erkennend ihn (als) gerechten und heiligen Mann

Sonntag, 31. Mai 2015

Josephus über die Mission des Täufers


1) Die „Jüdischen Altertümer“ des jüdischen Historikers Joseph ben Mathitjahu, bekannt als Flavius Josephus, enthalten 3 Stellen, die häufig im Zusammenhang mit den Berichten des Neuen Testaments diskutiert werden: Buch 18,3.3 (über Jesus), 18,5.2 (über Johannes den Täufer) sowie 20,9.1 (über den Herrenbruder Jakobus). Unlängst hat Peter Kirby einen schönen Beitrag veröffentlicht, in dem er die für oder gegen eine Fälschung sprechenden Gründe (insgesamt 26!) betreffend den Bericht über Johannes den Täufer abgewogen hat und zum Ergebnis gelangt ist, dass die Täufer-Passage authentisch ist

via peterkirby.com

Josephus‘ Bericht über die Mission des Täufers widerspricht den Darstellungen der Evangelisten über die Johannestaufe zumindest an einem entscheidenden Punkt, nämlich dem Zweck der Taufe. Historiker und Bibelwissenschafter wägen daher stets ab, welche Schilderung sie als vertrauenswürdiger und von den Absichten des jeweiligen Autors als weniger „überformt“ ansehen.

Im vorliegenden Beitrag interessiert mich ausschließlich die Darstellung von Josephus. Sie ist sehr knapp, vor allem in einem Punkt nicht ganz leicht zu verstehen und lässt meines Erachtens durchaus mehrere, sogar recht unterschiedliche Deutungen der Mission und des Taufverständnisses des Täufers zu.
 
2) Zunächst der griechische Text, die Übersetzung von Martin und einige Anmerkungen zum besseren Verständnis.

Mittwoch, 20. Mai 2015

Wie die Evangelisten die Prophezeiung „in jenen Tagen“ interpretierten


1) In der hebräischen Bibel und ihrer griechischen Übersetzung, der Septuaginta, gibt es Wörter und Phrasen, die sich häufig wiederholen. Dazu gehört auch die Wendung „in jenen Tagen“ (ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις) bzw. „an jenem Tag“ (ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ). Ihre Bedeutung ist nicht durchgängig gleich. Die Floskel kann sowohl eine ferne Vergangenheit, die erzählte Gegenwart, aber auch eine prophezeite Zukunft beschreiben. Sie kann zum Zwecke besonderer Betonung, aber auch als bloße unbetonte Zeitangabe verwendet worden sein.
Weihnachtslied: "An jenem Tag", via volksmusik-archiv.de

Sehr bekannt ist die Wendung aus dem Buch der Richter, indem mehrmals wiederholt wird: „In jenen Tagen gab es keinen König in Israel.“ (LXX-Ri 17,6; 18,1; 19,1; 21,25). Das Buch Genesis verwendet die Floskel „an jenem Tag“ gern als „Markierung“ wichtiger Stationen der Abraham gegebenen Verheißung, beginnend mit LXX-1. Mos 15,18 („An jenem Tag verfügte Gott für Abram eine Verfügung, indem er sagte: Deiner Nachkommenschaft werde ich dieses Land geben ...“).

Bei den Propheten bekommt die Wendung schließlich etwas Geheimnisvolles, weil sie verwendet wird, um die Zeit des künftigen Heils oder des drohenden Gerichts zu beschreiben. Sie dient also zur Bezeichnung der „eschatologischen“ Zukunft, des Anbruchs der letzten Dinge und des Herabkommens einer neuen Welt. Etwa bei Jeremia (LXX-3,16ff): „Und es wird geschehen, wenn ihr euch vermehrt und über das Land ausbreitet in jenen Tagen, spricht der Herr, werden sie nicht mehr sagen 'Die Bundeslade des Heiligen Israels', sie wird nicht mehr zum Herzen aufsteigen, weder wird sie beim Namen genannt noch betrachtet werden, und sie wird nicht wiederhergestellt werden. In jenen Tagen und zu jener Zeit wird man Jerusalem 'Thron des Herrn' nennen, und alle Völker werden in ihr gesammelt werden und sie werden nicht länger hinter den Gedanken ihres bösen Herzens nachlaufen. In jenen Tagen wird das Haus Juda mit dem Haus Israel zusammenkommen, und sie werden miteinander vom Land des Nordens und aus allen Gegenden in das Land kommen, das ich ihren Vätern zum Besitz gegeben habe ...“ oder Jesaja (29,18) „Und an jenem Tag werden Taube Worte eines Buches hören, und die Augen von Blinden, die in der Finsternis und in dem Nebel sind, werden schauen ...

Die Propheten verwenden diese Floskel so häufig, dass unsere Evangelisten dies bemerkt und die Wendung selbst verwendet haben, um an diese Prophezeiungen anzuknüpfen. Wie zu sehen sein wird, verwenden die Vier die Formel zunächst um das Anbrechen der durch Jesus vermittelten Heilszeit zu „markieren“. Markus und Matthäus scheinen diesbezüglich eine kleine Meinungsverschiedenheit zu haben …

Freitag, 8. Mai 2015

Markus im Glauben II


(Unter der Rubrik „Markus im Glauben“ verweise ich von Zeit zu Zeit auf geistliche Texte, die meines Erachtens vorbildlich mit den „Herausforderungen“ des Markusevangelium umgehen. Texte, die einen „unverfälschten“ Markus wertschätzen und als Anregung zu positiven geistlichen Überlegungen dienstbar machen.)

Aktuell beschäftigt mich noch immer Mk 1,40-45, die Reinigung des Aussätzigen. In der vergangenen Woche habe ich viele Interpretationen dieser Erzählung gelesen. Für mich überraschend habe ich die meisten Anregungen nicht in wissenschaftlichen Abhandlungen gefunden, sondern in Predigten und anderen geistlichen Texten.
via wikimedia

Zum Lachen brachte mich ein „Weekly Newsletter“ der St. Mary Catholic Cathedral von Amarillo, Texas, in der der Rollentausch zwischen Jesus und dem Aussätzigen mit jenen Kinofilmen verglichen wurde, in denen zwei Menschen ihre Körper tauschen (sog. bodyswitch-Filme).

Verweisen will ich aber eigentlich auf eine schöne, wenn auch bereits etwas ältere Predigt des Leipziger Pfarrers Christian Wolff. Der Thomaspfarrer meiner Heimatstadt hatte offenbar ganz ähnliche Verständnisprobleme mit dieser Erzählung. Zwei Auszüge:

Eine sonderbare Geschichte ist das. Die an sich erstaunliche Heilung, die ein Aussätziger erfährt, wird fast beiläufig erzählt. Dass es sich dabei um ein Wunder handelt, scheint für den Evangelisten Markus keine Rolle zu spielen. Ihn interessiert eher, was sich zwischen Jesus und dem Aussätzigen abspielt und was nach der Heilung geschieht: wie der Geheilte mit der wundersamen Wandlung umgeht, was er erzählt, was er verschweigt. Doch damit haben sich die Besonder- und Befremdlichkeiten der Geschichte noch lange nicht erschöpft:

Durch die Art und Weise, wie Markus diese Geschichte erzählt, macht er uns auf ein Problem aufmerksam, das uns als Kirche bis zum heutigen Tag begleitet. Es geht nämlich um die Frage, wie sehr wir uns Jesu bemächtigen, wenn wir von ihm öffentlich künden. Wie sehr wir Jesus uns zum Bilde machen, wenn wir seine Taten weiter erzählen. Und wie sehr wir Jesus beschädigen, wenn wir das öffentlich machen, was wir persönlich auf ihn zurückführen.

Mittwoch, 29. April 2015

Mirjams Aussatz


1) Wie die Septuaginta verwendet das Markusevangelium für Aussatz des Wort „Lepra“ (λέπρα). Mit diesem Begriff ist zumindest auch die klassische Lepra gemeint, wie 4. Mose 12,12 zeigt. Teilweise bezeichnet das Wort aber auch weniger gefährlichere Hautkrankheiten oder gar ungefährliche Hautveränderungen (3. Mose 13f.).
"Und siehe, Mirjam war aussätzig" via
wikimedia.org

Beachtlich ist, dass die hebräische Bibel in fast allen Erzählungen den Aussatz nicht als eine „natürliche Krankheit“, sondern als Strafe Gottes für einen Sünder, vielleicht sogar „nur“ als äußeres Zeichen seiner Sündhaftigkeit versteht. In 2. Chr 26,16-23 maßt sich König Usija die ihm nicht zustehende Rolle eines Priesters an und wird unmittelbar bei seinem Handeln von Aussatz befallen. In 2. Kön 5,20-27 hintergeht Gehasi den Propheten Elisa und wird auf dessen Wort hin mit Aussatz gestraft. In 2. Samuel 3,29 ruft König David wegen eines Mordes Gottes Strafe auf den Täter und dessen Familie herab, so dass „einer Eiterfluss und Aussatz habe oder am Stabe gehe oder durchs Schwert falle oder an Brot Mangel habe!“ Lediglich der von Elisa geheilte Aramäer Naaman scheint unter Aussatz im Sinne einer natürlichen Krankheit zu leiden.

Diese Verständnismöglichkeiten des Aussatzes werden am Beispiel von Mirjam, der Schwester von Mose und Aaron, in 4. Mose 12 thematisiert. Aaron, Mose und Gott selbst „interpretieren“ dort den Aussatz Mirjams und dessen Heilung auf jeweils etwas unterschiedliche Weise.


2) Mirjam „ist/ wird“ in 4. Mose 12 aussätzig, weil sie mit Aaron „gegen Moses gesprochen hat“. Das wesentliche Argument der beiden murrenden Geschwister gegen den von Gott bevorzugten Mose ist, dass Gott nicht nur zu Moses allein spricht, sondern auch zu Aaron und Mirjam. Daraufhin erscheint Gott und weist Mirjam und Aaron zunächst zurecht. Er belehrt sie, dass er ausschließlich mit Mose „von Mund zu Mund“ spricht, zu anderen Propheten aber nur in Träumen und Visionen. Alsdann „entbrannte der Zorn des Herrn gegen sie“ („sie“ in der Mehrzahl!) und er wandte sich ab: „Und siehe, da war Mirjam aussätzig wie Schnee.

Die Erzählung erweckt zunächst ein ungerechten Eindruck, weil Mirjam scheinbar allein „bestraft“ ist, obwohl Aaron gemeinsame Sache mit ihr gemacht hat.

Donnerstag, 23. April 2015

Die „Heilung“ des Aussätzigen im synoptischen Vergleich


Vergleicht man die Erzählung von der Reinigung des Aussätzigen im Markusevangelium mit den Fassungen von Matthäus und Lukas, so fällt im allgemeinen auf, dass beide die „problematischen“ Elemente der markinischen Erzählung vermieden haben, allerdings in unterschiedlicher Weise. Während Matthäus diese Punkte einfach auslässt, schimmert bei Lukas der Markustext in größerem Umfang durch. Auch er lässt einige Punkte aus, verändert aber andere so, dass deren „anstößige“ Aspekte eliminiert sind.
Franz von Assisi mit Aussätzigem - © IMAREAL
via landesmuseum.blogspot

Während sowohl Matthäus als auch Lukas die Bitte des Aussätzigen und seine Anrede an Jesus noch etwas ehrerbietiger schildern, vermeiden es beide, den „Ungehorsam“ des Gereinigten zu erzählen. In gleicher Weise werden auch die Handlungen und Äußerungen von Jesus, die dessen Zorn ausdrücken, von beiden nicht berichtet. Dies gilt auch für die von Markus erzählte „Unfähigkeit“ von Jesus, „im Lichten in eine Stadt zu gehen“. Man kann wohl davon ausgehen, dass Matthäus und Lukas – gerade weil sie diese Stellen entschärften – diese Punkte als anstößig empfanden, dass sie für die meisten antiken Leser so zu verstehen waren und dass gewiss auch Markus sich dessen bewusst war.

Sowohl Matthäus als auch Lukas stellen außerdem stärker auf die „Heilung von der Krankheit“ ab und lassen die von Markus ebenfalls betonte „rituelle bzw. kultische Reinigung“ eher außen vor.

Interessant sind einige Kleinigkeiten. Gegen Markus und Lukas betont Matthäus, dass der Gereinigte dem Priester eine „Gabe“ darbringen soll. Lukas stellt abschließend nochmals das Heilungshandeln von Jesus heraus, aufgrund dessen die Massen zu Jesus strömen.

In der nachfolgenden Übersicht habe ich die vorgenannten Punkte farblich markiert und zudem einige „minor agreements“ unterstrichen.

Freitag, 17. April 2015

Echos der Geschichte vom Aussätzigen


 Und von Markus? via prima-neanderthal.de
In Ergänzung meines vorherigen Beitrags möchte ich auf einige „Echos“ der Geschichte vom Aussätzigen in zwei anderen Abschnitten des Markusevangeliums hinweisen. Es handelt sich dabei um die Wiederverwendung seltener Wörter bzw. Phrasen aus Mk 1,40-45, deren Übereinstimmung recht auffällig erscheint. Eine von Markus verfolgte literarische Absicht könnte daher naheliegen.

Bei den zwei anderen Stellen handelt es sich um Verse aus der Salbung in Bethanien (Mk 14,3-9) sowie aus der Szene vom leeren Grab (Mk 16,6-8).


1) Salbung in Bethanien

Die Salbung von Bethanien weist vier Parallelen auf, von denen drei als deutliches Echo verstanden werden könnten. Es handelt sich dabei um die Wörter „Aussätziger“, „anschnauzen“ und „verkündigen“ sowie die Phrase „wenn du/ihr willst/wollt, so vermagst/vermögt du/ihr“.

Das Wort und das Thema „Aussätziger“ findet sich im Markusevangelium nur an diesen beiden Stellen, das Wort „anschnauzen“ wird von Markus ebenfalls nur insgesamt zweimal verwendet. Das Wort „verkündigen“ stellt nur ein sehr schwaches Echo dar, da Markus häufig davon spricht, wird aber verstärkt durch die einleitende Formulierung „er aber“. Die Phrase „wenn wollen, dann vermögen (fähig sein, können)“ begegnet uns bei Markus ebenfalls nur an diesen zwei Stellen. Hier die Übersicht:

Reinigung des Aussätzigen (Mk 1,40-45) Salbung in Bethanien (Mk 14,3-9)
Mk 1,40 Und kommt zu ihm ein Aussätziger (λεπρὸς - lepros) Mk 14,3 Und seiend er in Bethania, in dem Haus Simons des Aussätzigen (λεπροῦ - leprou)
Mk 1,40 Wenn du willst, du (bist) fähig mich (zu) reinigen. (Ἐὰν θέλῃς δύνασαί με καθαρίσαι) Mk 14,7 Wann immer ihr wollt, ihr (seid) fähig Gutes zu machen (ὅταν θέλητε δύνασθε αὐτοῖς εὖ ποιῆσαι)
Mk 1,43 Und ihn anschnauzend (ἐμβριμησάμενος – embrimēsamenos) sogleich Mk 14,5 Und sie schnauzten (ἐνεβριμῶντο – enebrimōnto) sie an
Mk 1,45 Er aber (ὁ δὲ), weggekommen, anfing zu verkünden (κηρύσσειν - kēryssein)
Mk 14,6 Er aber (ὁ δὲ), Jesus, sagte
Mk 14,9 wenn verkündet (κηρυχθῇ - kērychthē) wird das Evangelium

Donnerstag, 9. April 2015

Mk 1,40-45: Die rätselhafte Behandlung des Aussätzigen


1) Im Markusevangelium gibt es Erzählungen, die in Details, aber auch im Ganzen unverständlich sind. Zumindest für „uns“ - oder jedenfalls zumindest für mich. Ich würde mir manchmal wünschen, über das Wissen und den Verstehenshintergrund der allerersten antiken Leser von Markus zu verfügen, weil ich glaube, dass sie ihn wesentlich besser begreifen konnten als wir. 

Reinigung des Aussätzigen

Vielleicht führt es ein wenig weiter, wenn man versteht, aus welchen genauen Gründen man nicht versteht; wenn man die einzelnen Stellen der Erzählung benennt, die sich einem Verständnis widersetzen; wenn man das Maß von Sicherheit abschätzt, mit dem man vielleicht einzelne Fragen beantworten kann.

Ein Beispiel für eine solche Erzählung ist die sogenannte „Heilung“ des Aussätzigen in Mk 1,40-45. „Sogenannt“, weil für jeden ernsthaften Leser der Szene sofort ersichtlich ist, dass weder der Aussätzige noch Jesus die „Krankheit“ und deren „Heilung“ thematisieren. Der Aussätzige ist lediglich an seiner „Reinigung“ interessiert und Jesus sagt ihm auch nur diese zu. Nur quasi nebenbei verschwindet dabei auch der Aussatz.

Der spannendere Abschnitt ist der zweite Teil der Erzählung, der einen fortwährenden Rollentausch während der ganzen Geschichte nahelegt: Zunächst behandelt Jesus im ersten Teil einen unreinen Aussätzigen wie einen Reinen, da er ihn berührt. Alsdann behandelt er den Gereinigten wie einen Unreinen bzw. einen Dämon, indem er ihn hinauswirft und ihm Schweigen gebietet. Zuletzt findet sich Jesus selbst in der Rolle des Aussätzigen wieder und ist nicht mehr in der Lage, in eine Stadt zu gehen. Dies scheint die Geschichte zu sein, die Markus erzählen will. Ich vermute mal, dass nicht nur für mich der Sinngehalt des Erzählten weitestgehend im Dunkeln liegt.

Wie immer beginne ich zunächst mit dem möglichst wortwörtlich übersetzten Text:

Dienstag, 7. April 2015

Mk 1,10 - Geisttaufe


Markus unterscheidet sich von den anderen Evangelisten unter anderem dadurch, dass er häufig ein bestimmtes Geschehen aus der Perspektive einer handelnden Person berichtet. Während bei Matthäus, Lukas und Johannes ein gewisses Ereignis „objektiv“ und für jeden sichtbar bezeugt wird, ist dasselbe im Markusevangelium aus dem Blickwinkel „subjektiven“ Erlebens erzählt. Ein schönes der unzähligen Beispiele ist die Geisttaufe in Mk 1,10:
WOW !

Und sogleich
καὶ εὐθὺς
                aufsteigend aus dem Wasser
                ἀναβαίνων ἐκ τοῦ ὕδατος
sah er
εἶδεν

                         sich spaltend die Himmel und
                         σχιζομένους τοὺς οὐρανοὺς καὶ

                         den Geist wie Taube
                         τὸ Πνεῦμα ὡς περιστερὰν

                niedersteigend in ihn;

                καταβαῖνον εἰς αὐτόν·

Interessanterweise ist der unwichtigere Teil, Jesus „Aufsteigen“ aus dem Wasser noch objektiv geschildert, der wichtigere, die Spaltung (Schize) des Himmels und das Niedersteigen des Geistes in Jesus, jedoch subjektiv.

Man stelle sich einmal die ideale Kameraführung für eine Verfilmung dieser Szene vor: Die Taufe durch Johannes im Jordan in Mk 1,9 und der Beginn des Aufsteigens aus dem Wasser werden ganz kurz aus einer gewissen Entfernung gezeigt. Aber in der Bewegung des Aus-Dem-Wasser-Kommens zoomt die Kamera auf das Gesicht Jesu, in slow motion öffnen sich seine Augen, intensiv blickend. Alsdann wird – am besten aus der Perspektive unter Jesus' Kinn - auf den aufreißenden Himmel geblendet, so dass man den steil empor gerichteten Blick von Jesus und dessen weiteres Aufwärtssteigen aus dem Wasser wahrnehmen kann, und - ihm quasi entgegenkommend - strömt aus der Himmelsöffnung strahlend der Geist in ihn hinein. Dann die Himmelstimme in Mk 1,11: „DU bist mein Sohn, der geliebte! ...

Donnerstag, 26. März 2015

Markus im Glauben


Für 2015 hatte ich mir unter anderem vorgenommen, ein wenig mehr über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Dabei interessiert mich besonders, wie Christen für sich selbst Anregungen aus dem Markusevangelium aufnehmen, die mit herkömmlichen Überlieferungen eher weniger harmonieren. 

via riconciliazionepace
Ein berühmtes Beispiel, das ich hier nur zur Erläuterung nenne, ist etwa die Unechtheit der Verse 16,9-20. Wie verhält man sich als gläubiger Christ, wenn man zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Vers 16,8 das echte Ende darstellt? Welche Überlegungen entwickelt man angesichts solcher Herausforderungen für den eigenen Glauben? Gelingt es sogar, positive Anregungen für sich zu finden? Was geschieht, wenn man als Christ die kraftvolle Dramatik des Markusevangeliums zu empfinden beginnt, aber auch den Sog spürt, der vielleicht von manchen „rosaroten“ christlichen Inhalten fortführt?

Unter der Rubrik „Markus im Glauben“ möchte ich von Zeit zu Zeit auf geistliche Texte hinweisen, denen dies nach meiner Einschätzung besonders gut gelingt. Texte, die einen „unverfälschten“ Markus wertschätzen und als Anregung zu positiven geistlichen Überlegungen dienstbar machen.

Die Meditation zum Palmsonntag am 29.03.2015 „Nicht schöngeredet“ von Pfarrer Heinz Vogel aus Waldkirch eröffnet diese Rubrik. Ein Auszug:

In der Leidensgeschichte Jesu, der Passion, bannt mich gleich die Frau, die Jesus mit dem wohlduftenden Nardenöl salbt. Es ist im Erzählen ein Augenblick der Ruhe, während das Evangelium sonst unentwegt weiterstrebt, als wäre nichts mehr zu halten. 'Überall auf der Welt, wo dieses Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat.' (Mk 14,9). ... Gerade diese Frau, deren Namen wir nicht wissen, begreift, was es mit diesem Jesus von Nazaret auf sich hat. … Gerade die, die immer um ihn sind, ... begreifen nicht. Nicht begreifen. Das wird alles erzählt. Jene begreifen nicht, die viele Kirchen an den Säulen zieren, zu denen wir aufschauen, die Apostel, von denen sich unsere Bischöfe in ihrer Folge ableiten. Sie sind blind, während andere sehend werden.

Samstag, 14. März 2015

Markus, Josephus und das Buch Esther


Teil 1 – Das Buch Esther, der Alpha-Text und Josephus

Königin Esther - via preciousoils.wordpress
1) Das Markusevangelium zitiert in Mk 6,14-29 mehrmals aus dem Buch Esther. Ich frage mich vor allem, was der Sinn dieser Zitate ist und möchte mir einige Gedanken darüber machen, aus welchem Grund Markus an dieser Stelle auf Esther anspielt.

Diese Frage wirft ein heikles Problem auf. Die Geschichte über die schöne Esther ist uns nämlich in drei, teilweise erheblich voneinander abweichenden Fassungen aus der Antike überliefert sowie zusätzlich in einer Nacherzählung:

- der masoretische Text der hebräischen Bibel (Mt)
- die griechische Fassung der Septuaginta (LXX)
- der sogenannte griechische Alpha-Text, auch als A-Text bezeichnet (A)
- der griechische Bericht von Josephus Flavius in den „Jüdischen Altertümern“

Man weiß also nicht, welches Esther-Buch Markus eigentlich kannte. Die Behauptung, dass Markus daraus zitiert hätte, entbehrt somit nicht einer gewissen Komik. Ich habe mir deshalb die unterschiedlichen Fassungen von Esther etwas näher angesehen. Mein vorsichtiger Eindruck ist, dass Markus – ebenso wie Josephus – möglicherweise mehrere Esther-Bearbeitungen kannte oder eine Fassung, die nicht nur mit der LXX vergleichbar ist, sondern auch mit dem Alpha-Text. (In der Bibliothek von Qumran wurde das Buch Esther übrigens nicht gefunden - als einziges Buch der hebräischen Bibel.)

Im ersten Teil dieses Beitrags möchte ich zunächst nur etwas zu den unterschiedlichen Esther-Büchern sagen und auf bestimmte Motive der Esther-Geschichte sowie einige literarische Tricks und Techniken des Buches Esther hinweisen. Abschließend möchte ich zeigen, dass die Nacherzählung von Josephus an einigen Stellen mit dem Alpha-Text (A) gegen Mt und LXX übereinstimmt. Dies, um sicher sein zu können, dass der Alpha-Text keine wesentlich spätere Nachbearbeitung der LXX-Fassung ist, sondern - zumindest in einer Urfassung oder nahestehenden Bearbeitung - ebenfalls schon um die Zeitenwende vorlag (- auch wenn er textlich nur durch Bibeln belegt ist, die nach dem Jahr 1000 entstanden sind). In seinem 2009 erschienen Esther-Kommentar beschreibt Harald Wahl den Stand der aktuellen Diskussion dahingehend, dass die meisten Spezialisten davon ausgehen, dass ein Vorläufer des A-Textes (protoA) älter ist als die LXX (bei ihm als B-Text bezeichnet), vielleicht sogar älter als der masoretische Text.

Die Schlussfolgerung, die ich gern ziehen möchte, liegt natürlich auf der Hand: Hat Josephus den A-Text gekannt, dann könnte ihn auch Markus gekannt haben.


2) Für den deutschsprachigen Leser sind wichtige Unterschiede zwischen Mt und LXX erkennbar, wenn er z.B. die (kleine) Luther oder die Elberfelder mit der Einheitsübersetzung vergleicht.

Luther und Elberfelder sind Übersetzungen nur des Mt, während die Einheitsübersetzung ein „Mischtext“ ist. Dieser enthält eine Übersetzung des hebräischen Textes (Mt) mit den (sogenannten) Zusätzen aus der Septuaginta (LXX). Diese LXX-Zusätze sind in besonderer Weise, nämlich mit Kleinbuchstaben, gekennzeichnet. Das erste Kapitel der Einheitsübersetzung des Buches Esther bietet beispielsweise zunächst die LXX-Verse 1 a) bis 1 r) und alsdann die Mt-Verse 2 bis 22.

Mittwoch, 4. März 2015

Johannes der Täufer, das Gesetz und die Sünde


1) Markus´ Erzählung von der Enthauptung Johannes des Täufers ist weltberühmt und vielfach von Malern, Schriftstellern und Musikern interpretiert worden. In der Regel richtet sich die Aufmerksamkeit des Lesers in dieser Szene auf die von Markus „gemalte Blume des Bösen und Makabren“. So auch die des ehrwürdigen Lohmeyer, der zur sprachlichen Gestaltung treffende Worte gefunden hat: 

A. Tiarini: Der Täufer und Herodes (Mk 6:20 "... wenn er
ihn hörte, wurde er verlegen; doch hörte er ihn gerne.
")

"Die Sprache ... ist sparsam bis zum Äußersten, schildert nicht farbig und im Einzelnen die Gegensätze, die hier ineinander greifen, verschweigt auch fast alle seelischen Motive; sie erzählt unbestechlich und gleichsam teilnahmslos. Die Erzählung nimmt für keinen Partei, weder für den Täufer noch gegen den Fürsten, höchstens vielleicht für (!) die Fürstin. Denn dass sie gegen alle Widerstände ihren Plan durchsetzt, mit List und Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegen die eigene Tochter, das ist der Geschichte wahrer Inhalt; aber sie verurteilt auch die Fürstin nicht."

In der Tat ist diese Szene im Markusevangelium ohne Rührung dargestellt. Das „Auftragen“ des abgeschlagenen Täuferkopfes auf einem Tablett beim Festmahl von Herodes hat dann auch schon bei einem Kommentator die zynische Rückfrage ausgelöst, wie denn wohl serviert worden sei. Etwa mit einer Portion Pommes? Beim zweiten Lesen der Geschichte bemerkt man zudem, dass Markus auf anscheinende Nebensächlichkeiten Gewicht legt. Er zitiert etwa mehrmals aus dem Buch Esther und stellt das wiederholte Hinein- und Hinausgehen der tanzenden Tochter heraus, was den provozierenden Eindruck erweckt, dass es Markus wesentlich wichtiger war, die Abwesenheit der Frauen beim Festmahl der Männergesellschaft zu betonen, als Mitgefühl mit dem Täufer zu zeigen und Partei gegen die tödliche Intrige zu ergreifen.

Warum also ist der kühle Markus sogar hier im Angesicht des Makabren so kalt und distanziert?


2) Eine Antwort auf diese Frage ergibt sich meines Erachtens, wenn man in dieser Geschichte nicht zuerst auf „Sex and Crime“ achtet, sondern sie „von den Rändern her“ liest. Die Auseinandersetzung beginnt mit der Zurechtweisung des Herodes durch den Täufer in Mk 6:18:

Gesagt hatte nämlich der Johannes dem Herodes: 'Nicht erlaubt ist (Οὐκ ἔξεστίν) Dir, zu haben die Frau Deines Bruders.'

Nun gibt es keinen ernsthaften Bibelwissenschaftler, der diese Stelle nicht bemerkt hätte und nicht ausdrücklich darauf hinweist, dass Johannes sich in seiner Kritik an Herodes offenbar auf 3. Mose 18,16 beruft: „Du sollst mit der Frau deines Bruders nicht (geschlechtlichen) Umgang haben; denn damit schändest du deinen Bruder.

Bei einer knappen Recherche konnte ich jedoch keinen Exegeten finden, der die Bedeutung dieser Aussage erkannt hätte. Johannes argumentiert hier nämlich in der Art und Weise der Pharisäer, der Gegner von Jesus. Er beruft sich gegenüber Herodes auf das „Gesetz“.