Dienstag, 5. Januar 2016

Jesus und das Fohlen des „Schilo“


1) In der nebenstehenden Abbildung habe ich den griechischen Wortlaut der Verse 11:1-11 des Markusevangeliums über die Ankunft von Jesus in Jerusalem in einen Fließtext gesetzt. Gerötet ist die Schilderung über die Beschaffung des Fohlens, dem Reittier von Jesus. Wörter, die das Angebundensein, das Lösen und das Bringen des Fohlens bezeichnen, sind gelb unterlegt. Der blaue Text beinhaltet die anschließenden Handlungen und Rufe der Pilger. Wie man sieht, ist der gerötete Text doppelt so umfangreich wie der blaue. Das Hauptaugenmerk von Markus lag in dieser Perikope anscheinend auf der Indienstnahme des Fohlens. 

via Free Bible Images
Dieses Fohlen wird von Jesus in Mk 11:2 gegenüber zwei Jüngern wie folgt beschrieben:

εὑρήσετε πῶλον δεδεμένον ἐφ’ ὃν οὐδεὶς οὔπω ἀνθρώπων ἐκάθισεν·
(ihr) findet Fohlen, gebunden, auf welchem niemand noch-nicht (von) Menschen saß

Das einzige „gebundene Fohlen“, von dem wir mit Sicherheit wissen, das Markus es kannte, ist das Fohlen des „mythischen“ Schilo aus dem Segen Jakobs in Bereschit (LXX-Genesis) 49:11. Zunächst die deutsche Übersetzung der Septuaginta (Gen 49:10-11):

Nicht wird weichen von Juda der Fürst und von seinen Hüften der Herrscher, bis das, was für ihn aufbewahrt ist, kommt, und er selbst ist die Erwartung der Völker. Er bindet sein Fohlen (πῶλον) an einen Weinstock und das Fohlen (πῶλον) seiner Eselin an die Weinranke. Im Wein wird er sein Kleid waschen und im Blut der Traube seinen Umhang.

Justin der Märtyrer hat in der Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. die Markusverse 11:2-4 ebenfalls als Anspielung auf Genesis 49:11 verstanden: „Jener Satz aber: 'Er bindet an den Weinstock sein Füllen und wäscht sein Gewand im Blute der Traube' sollte sinnbildlich andeuten, was Christus erleben und was er vollbringen werde. Denn ein Eselsfüllen stand am Eingange eines Dorfes, an einen Weinstock angebunden, und das befahl er seinen Jüngern ihm zuzuführen, und als es ihm zugeführt war, bestieg er es, setzte sich darauf und zog in Jerusalem ein, wo das Hauptheiligtum der Juden war, ...“ (1. Apologie, 32. Kapitel).


2) Aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. sind uns neben Markus vermutlich noch drei weitere Interpretationen der „Prophezeiung“ aus Gen 49:10-11 überliefert: die der Qumran-Gelehrten, die der Aufständischen im Jüdisch-Römischen-Krieg und die von Joseph ben Mathitjahu, genannt Flavius Josephus.