Samstag, 8. April 2017

Jenseits der „Frage nach der Auferstehung“ (Markus 12:18-27)

1) Wer sich ein wenig damit auskennt, weiß, dass die Überschriften in der Bibel nicht von den biblischen Autoren stammen, sondern von den Herausgebern moderner Bibeleditionen. Je nach Übersetzung können sie deshalb auch unterschiedlich lauten. Viele davon sind treffend und fassen die dazugehörige Schriftstelle unter einem einprägsamen Stichpunkt zusammen. Andere scheinen eher ungenau gewählt zu sein. Meines Erachtens ist Markus 12:18ff für letztere ein Beispiel. Luther, Elberfelder und Schlachter 2000 haben diesem Abschnitt die Überschrift „Die Frage nach der Auferstehung“ gegeben. In der Einheitsübersetzung und der Neuen Genfer lautet sie: „Die Frage nach der Auferstehung der Toten“. Manche große Übersetzungen formulieren als Fragestellung wie die Gute Nachricht: „Werden die Toten auferstehen?

Mose am Dornbusch
Mir scheinen diese Überschriften eher verfehlt, weil eine „Frage nach der Auferstehung“ in Markus 12:18ff nicht gestellt wird. Die Frage der Sadduzäer an Jesus lautet sinngemäß: „Von welchem Bruder wird sie in der Aufstehung die Frau sein?“ Es handelt sich dabei um eine Frage nach der Zugehörigkeit zu einem Ehepartner.

Ungeachtet dessen widmet sich die gänzlich überwiegende Mehrheit der Gelehrten ebenfalls dieser angeblichen Auferstehungsfrage, sobald der Textabschnitt erörtert wird. Vor einigen Jahren wurde an einer theologischen Fakultät sogar eine Seminararbeit zu dem Thema „Die Frage der Sadduzäer nach der Auferstehung (Mk 12,18-27)“ ausgegeben, in der dann auch behauptet wird: „So ergeht es auch den Sadduzäern, die in Mk 12,18-27 die Frage nach der Auferstehung, die in jener Zeit durchaus umstritten war, stellen.“ Nö, machen sie eben nicht, möchte man entgegnen, würde damit aber auf nahezu verlorenem Posten stehen.


2) Ich habe ein paar Mutmaßungen über dieses Desinteresse am Evangeliumstext angestellt und glaube, dass drei Gründe dafür ausschlaggebend sein könnten.

 In der Erzählung des Evangeliums verfolgen die Sadduzäer mit ihrer Frage kein ernsthaftes Anliegen. Ausdrücklich ist erwähnt, dass sie den Glauben an die Auferstehung ablehnen (Mk 12:18 - „Und es kommen Sadduzäer zu ihm, die sagen, es gebe keine Auferstehung …“). Obwohl sie diese Ansicht nicht teilen, stellen sie gleichwohl eine Frage über eine auferstandene Frau und ihre Ehegatten. Die Gesprächssituation legt nahe, dass der von den Sadduzäern präsentierte Fall nur dazu dient, die Auferstehung als absurden Glauben zu überführen. Vermutlich deshalb wird der tatsächlich gestellten Frage der Sadduzäer kaum Bedeutung beigemessen. Auch versucht Jesus gegen die Sadduzäer zu belegen, dass die Toten wirklich erweckt werden. (Mk 12:26 – „Was aber die Toten betrifft, dass sie auferweckt werden: …“). Die ungefragte Frage nach der Auferstehung scheint zumindest stillschweigend „in der Luft zu liegen“ und das eigentliche Problem darzustellen.

Der jüdische Historiker Josephus Flavius berichtet von den Sadduzäern, dass sie im Unterschied zu den Pharisäern nicht an eine Unsterblichkeit der Seele glaubten und äußerst diskussionsfreudig waren (Jüdische Altertümer 18.1.4: „Die Lehre der Sadduzäer lässt die Seele mit dem Körper zugrunde gehen … Sogar gegen die Lehrer ihrer eigenen Schule im Wortstreit anzugehen, halten sie für rühmlich ...“). Die historischen Quellen legen damit nahe, dass die Sadduzäer tatsächlich häufige Streitgespräche über die Auferstehung geführt haben könnten.

Die Frage nach der Auferstehung bildet zudem ein ehrwürdiges theologisches Thema. Dagegen wirkt die von den Sadduzäern präsentierte Fallfrage eher wie ein kauziges Rätselchen, mit dem man sich als Bibelwissenschaftler keine Lorbeeren verdienen kann. Schließlich richtet sich in der Regel die ganze Aufmerksamkeit auf die Argumentation von Jesus in Mk 12:26-27 („Habt ihr nicht im Buch Moses gelesen, wie Gott beim Dornbusch zu ihm redete und sprach: ‚Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs’? Er ist nicht der Gott von Toten, sondern von Lebenden.“). Jesus’ Antwort steht deshalb im Mittelpunkt des Interesses.

Aufgrund dieser Umstände wird die tatsächliche Frage der Sadduzäer im Markustext vernachlässigt und sich gewissermaßen eine Frage nach der Auferstehung eingebildet.


3) Wohl deswegen wird die in Markus 12:18ff vom Leser erwartete Denkleistung auch nicht gewürdigt.

In der noch immer grundlegenden und brillanten Monografie zu dieser Perikope schrieb Otto Schwankl zur Frage der Sadduzäer: „Für sich genommen lässt sich die Frage, wessen Frau die siebenfache Witwe sein wird, auch als ein ehrliches eherechtliches Problem auffassen, das per Rechtsentscheid zu lösen ist. Dann würden die Sadduzäer nicht einen Standpunkt vertreten, sondern eine Infomationsfrage stellen. Im gegenwärtigen Kontext der Perikope ist dieses Verständnis ausgeschlossen … Die Sadduzäerfrage zielt von vornherein darauf ab, den Auferstehungsglauben lächerlich zu machen und als mit der Tora in Widerspruch stehend ad absurdum zu führen. Eine wirkliche Lösung der Frage nach der ehelichen Zugehörigkeit der Frau erwarten die Fragesteller nicht.“ (Otto Schwankl, Die Sadduzäerfrage, Athenäum, 1987, S. 353f)

Diese Gesprächssituation muss der Leser aber erst einmal für sich selbst durchschauen, da Markus ihm keinen deutlichen Hinweis hierauf gibt. Der aufmerksame Leser wird gleichwohl bemerken, dass die Frage der Sadduzäer im Widerspruch zu ihrer eigenen Meinung über die Auferstehung steht. Die Herausforderung, die Streitkonstellation richtig einzuschätzen, trifft den Leser zudem nicht unvorbereitet. Bereits in der Perikope über die Frage nach Jesu Vollmacht (Mk 11:27ff) und der Frage nach der Steuer (Mk 12:13ff) begegnen dem Leser unaufrichtige Diskussionsgegner, die mit ihrer wirklichen Meinung hinter dem Berg halten und Jesus eine Fangfrage stellen.

Schließlich ist es der griechische Wortlaut von Jesus’ Antwort, der dem Leser auf die Sprünge hilft - Mk 12:24: „Jesus sprach zu ihnen: Irrt ihr nicht deshalb, weil ihr die Schriften nicht kennt und nicht die Kraft Gottes?“ Für das in der Elberfelder mit „Irrt“ übersetzte Wort verwendet Markus „πλανᾶσθε“ (planasthe), das die Grundbedeutung „in die Irre führen, verführen“ hat. Die Antwort von Jesus führt dem griechischen Leser nochmals vor Augen, dass es sich bei den Sadduzäern um Trickser und Täuscher handelt.


4) Die Sadduzäer scheinen ein gewieftes Argument gegen den Auferstehungsglauben geltend zu machen, das auf den ersten Blick noch unverständlich ist, von Jesus aber durchschaut wird.

Auffällig ist in der Geschichte zunächst, dass die Argumente der Sadduzäer und von Jesus nicht ausdrücklich entwickelt sind - wie etwa ein Vergleich mit einer rabbinischen Schriftstelle (BT Sanhedrin 91b) zu Psalm 84:5 zeigt („Wohl denen, die wohnen in deinem Haus, die dich allezeit loben.“). Wörtlich heißt es im hebräischen Text „... loben werden“. Um den Auferstehungsglauben aus einer Bibelstelle nachzuweisen, argumentiert etwa Rab Jehoschua ben Levi: „Es heißt nicht‚ allezeit lobten’, sondern ‚allzeit loben werden’“. Das rabbinische Argument lautet: Wenn sie „allezeit loben werden“, dann werden sie es eben in alle Ewigkeit tun und nicht sterben. Ein solch klares und schlüssiges - wenn auch vielleicht banales - Argument finden wir im Markustext weder von Seiten der Sadduzäer noch von Jesus vorgetragen.

Das Argument der Sadduzäer besteht offenbar im ersten Schritt in einem Schriftbeweis, der Zitate aus Deuteronomium (5. Mos 25:5) und Genesis (1. Mose 38:8) miteinander verbindet - Mk 12:19 „Lehrer, Mose hat uns geschrieben: Wenn jemandes Bruder stirbt und lässt eine Frau zurück und hinterlässt kein Kind, dass sein Bruder seine Frau nehme und seinem Bruder Nachkommenschaft erwecke.

Das griechische Wort für „erwecke“ lautet im Markustext „ἐξαναστήσῃ“ (exanastēsē), das mit dem Wort für Auferstehung (ἀνάστασις - anastasis) stammverwandt ist und das man wörtlich mit „daraus auferstehe“ übertragen könnte. Sowohl wörtlich als auch dem Sinn nach machen die Sadduzäer anscheinend geltend, dass Mose eine andere Form des ewigen Lebens im Blick hatte: das unpersönliche Fortleben nach dem Tod in den Nachkommen und nicht in einem Jenseits durch Überwindung des Todes. Falls, so könnte das Argument lauten, es eine Auferstehung der Toten gäbe, dann würde die Institution der von Mose angeordneten Leviratsehe nicht notwendig sein. Ergo gibt es keine Auferstehung der Toten bzw. zumindest: Mose wusste nichts von ihr.


5) Schwieriger zu verstehen ist hingegen, worauf das von den Sadduzäern erzählte Fallbeispiel in letzter Konsequenz hinauswill.

In erster Linie natürlich auf die ausdrücklich gestellte Frage: Wessen Frau wird sie sein? Nach überwiegender Meinung der wenigen Gelehrten, die sich mit diesem Thema beschäftigen, läuft das Argument der Sadduzäer darauf hinaus, dass in der Auferstehung eine „unerträgliche“ Vielehe entstehen würde, die zu einem ständigen Spannungsverhältnis unter den Brüdern, aber auch zwischen der Frau und jedem ihrer Männer führt, das auch Gott nicht gedeihlich regeln könnte. Andere Exegeten verweisen gern auf die verwandten Geschichten im Buch Tobit und vor allem auf 2 Makkabäer 7; meines Erachtens jedoch ohne dass hierdurch viel zur Klärung beigetragen wird.

Das Argument der Sadduzäer würde meinem Eindruck nach an zusätzlicher Schärfe gewinnen, wenn man es als gegen Jesus’ Lehre in Mk 10:6ff gerichtet verstehen könnte („… und die zwei werden ein Fleisch sein; daher sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“) Gott hätte dann in der Fallgeschichte der Sadduzäer sieben Männer mit einer Frau „zu einem Fleisch“ zusammengefügt, was bei einer gleichzeitigen leiblichen Auferstehung als absurd angesehen werden könnte.

Allerdings wäre es für das von den Sadduzäern ausdrücklich aufgeworfene Problem gänzlich ausreichend gewesen, wenn sie eine realistische Geschichte mit einer Witwe und zwei Männern berichtet hätten. Auch dann würde sich in gleicher Weise die Frage stellen, wessen Frau sie in der Auferstehung sein wird. Stattdessen wird ein grotesker Fall geschildert, in dem die sieben beteiligten Brüder und ihre Frau im zunehmenden Maß durch die Erfüllung der Leviratsvorschrift entwürdigt werden. Die „schwarze“ Pointe der Geschichte scheint zudem zu sein, dass der Zweck des Levirats, die Kinderzeugung, endgültig ausbleibt und für keinen der Brüder ein Erbe geboren wurde. Letztlich geht damit die Behauptung einher, dass Gott in die irdischen Verhältnisse nicht eingegriffen habe und die Befolgung der Leviratsvorschrift durch die 6 anderen Brüder ein „sinnloses“ Unterfangen war. Vor allem vor dem Hintergund der „wunderbaren“ Ehe- und Geburtsgeschichten im Buch Genesis (in Bezug auf Sara, Rebekka, Rachel und Lea) erscheint das Fallbeispiel der Sadduzäer für jene verhöhnend zu sein, die auf die Einhaltung des mosaischen Gesetzes achteten.


6) Das Gespräch mit den Sadduzäern ist Teil der Streit- und Lehrgespräche, die Jesus während seines letzten Tempel-Tages führt (Markus 11:27 – 13:3).

Mein Eindruck ist, dass auf der Ebene der Erzählung der Anlass für jedes dieser Gespräche entweder ausdrücklich genannt wird (Mk 12:13; 12:28, 12:41-41; 13:1) oder zumindest recht nahe liegt (Mk 11:27f.: Tempelaristokratie versucht, Jesus zur Rede zu stellen und ihn zu überführen; Mk 12:35,38: Jesus stellt seine wahren Gegner, die Schriftgelehrten, zur Rede und warnt vor ihnen).

Lediglich der Sadduzäerstreit scheint aus dem Rahmen zu fallen. Was bewegte die Sadduzäer, Jesus in eine Diskussion zu verwickeln? Die Antwort scheint darauf hinauszulaufen, dass sie Jesus lediglich in einem theologischen Streitgespräch mit einem smarten Argument schlagen und lächerlich machen sowie sein zuvor geäußertes Gottvertrauen verhöhnen wollten.


7) Mit einer kleinen Ausnahme will ich hier nicht auf die komplexe Antwort von Jesus in Mk 12:24ff eingehen. Die Ausnahme ist eine schöne Übereinstimmung mit dem letzten Wort von Jesus im Markusevangelium.

Im Lukasevangelium redet Jesus mit seinem letzten Wort vor dem Tod Gott als „Vater“ an (Lk 23:46: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!“). Bei Johannes wendet sich Jesus bei der Kreuzigung gar nicht an Gott, aber bezeichnet ihn nach der Auferstehung als „Vater“ (Joh 20:17 „Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.“) Im Markusevangelium schreit Jesus jedoch zu „seinem“ Gott, wörtlich zu „der Gott von mir“ (ὁ θεός μου), indem er Psalm 22 betet (Mk 15:34 „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“).

Uns als Lesern mag die Gestaltung bei Lukas und Johannes auf den ersten Blick einfühlsamer erscheinen, weil die Hinwendung zum „Vater“ auch einen emotionalen Beiklang hat. Im thematischen Zusammenhang erweist sich Markus jedoch überzeugender, denn in seinem Evangelium ruht die Hoffnung in Jesus’ Todesstunde eben nicht auf dem „Vater“, sondern auf jenem, auf den sich Jesus selbst im Streit mit den Sadduzäern um die Auferstehung in Mk 12:26 beruft: Der „Gott von Jesus“, der zugleich „der Gott von Abraham und der Gott von Isaak und der Gott von Jakob“ (ὁ θεὸς Ἀβραὰμ καὶ ὁ θεὸς Ἰσαὰκ καὶ ὁ θεὸς Ἰακώβ) ist und Moses als Bundesgott am Dornbusch erscheint.

Letztlich wollte ich mit diesem Beitrag nur eins sagen. Natürlich geht es im Evangeliumsabschnitt Markus 12:18ff auch um eine Frage nach der Auferstehung. Die Antwort von Jesus in Mk 12:24ff kann meines Erachtens aber nur aus der Perspektive der tatsächlichen Gesprächssituation verstanden werden.

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